Der weinende Trinker
Als Anno eilf gekeltert war,Schien noch die Sonne hell und klar.
Die Sonne schien so klar und heiß;
Vor seiner Thüre weint‘ ein Greis,
Hielt in der Hand ein Glas mit Wein
Und helle Thränen tropften drein.
„Was weinst du, guter alter Mann,
Hat dir ein Feind zu nah gethan?“
Zu nah gethan hat mir kein Feind:
Ich weine, weil die Sonne scheint.
„Wie sprichst du kindisch, unbedacht!
Wer weint denn, weil die Sonne lacht?“
Auch wein ich, weil der Wein so gut;
Gar köstlich schmeckt dieß Traubenblut.
„So bist du, Alter, nicht bei Trost:
Wer wäre gutem Wein erbost?
„Um guten Wein und Sonnenschein
Soll man von Herzen fröhlich sein.“
Darauf der Alte schluchzend spricht:
„Das, lieber Herr, versteht ihr nicht.
„Wie würd erst dieser Wein so gut,
Wenn er noch hieng‘ in solcher Gluth?
„Daß wir zu früh gelesen han,
Darüber wein ich alter Mann.“
Ein edler Wein wuchs Anno elf:
Daß Gott uns bald an beßern helf!
Karl Simrock (1802-1876)