Die Regierung Ungarns unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán arbeitet seit drei Jahren an der Abschaffung der Demokratie. Reichlich grotesk wirken die Versuche der mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestatteten Fidesz, die Kunstszene des Landes durch Drohungen, Personalentscheidungen und Zensur auf Linie zu bringen.
Jüngstes Opfer dieses Wahns ist das Budapester Kultur-Café Sirály im jüdischen Viertel. Aufgrund der fehlenden Lizenz – die leicht auszustellen wäre – soll das Zentrum der Alternativszene geschlossen werden. Zu diesem Zweck schickte die Stadtverwaltung – die Polizei? Weit gefehlt: Muskelmänner einer privaten Sicherheitsfirma sollten das Sirály räumen. Und scheierten am Widerstand der Besucher.
Dieselbe Stadtverwaltung hat das Lokal Ende 2011 dem Betreiberverein Marom bis auf Widerruf zur Nutzung überlassen. Der Standard zitiert Ádám Schönberger von Marom: „Die Nutzungsbedingungen sollten anschließend vereinbart werden, doch von der BFVK (städtische Immobilienverwaltung, Anm.) hörten wir in der Folge nichts mehr.“
Da der Verein rund um das Lokal ein Kulturprogramm zum jüdischen Pessach-Fest veranstaltet, wurde die Räumung bis nach dem 3. April aufgeschoben.
Wenn Viktor Orbán und seine Handlager meinen, sie könnten die Künstler mit Druck zum Schweigen bringen, haben sie in der Schule nicht aufgepasst. Sonst wüssten sie etwa, dass die ungarische Literatur traditionell auf der Seite der Demokratie steht und sich nicht für die Ziele der Machthaber einspannen lässt.
Gedichte im Widerstand
Zwecks Auffrischung des Gedächtnisses folgen hier drei Beispiele ungarischer Lyrik:
„Erst dann, wenn jeder gleichberechtigt
Platz nehmen darf am Tisch der Welt,
erst dann, wenn jeder gleichenmaßen
sein Teil vom Überfluß erhält,
wenn durch die Fenster aller Hütten
das Licht der Bildung Einzug fand,
erst dann ist’s Zeit für uns zu rasten,
erreicht ist das Gelobte Land.“
Petőfi Sándor (1815-1892)
„Fünfhundert Barden, jung und alt,
den Scheiterhaufen betraten,
nicht einer war dazu bereit,
zu preisen Eduards Taten.“
Arany János (1817-1882)
„Willkür kann stets durchwühlen meine Räume, –
anzapfen mein Gerät.
Bald in Akten hält man fest meine Träume,
und den, der sie versteht…
Wer ahnt, wann werden zureichen die Gründe, –
wann beweisen mir schlaue Karteibünde,
dass mir kein Recht zusteht.“
József Attila (1905-1937, übersetzt von Daniel Muth)
(Hinweis: Das Razziafoto stammt von Szia Budapest. Danke.)